5 Minuten Lesezeit 9 Februar 2022
Geschäftsfrau auf der Suche nach Akten im Büro

Warum Digitalchecks der Hebel für eine bessere Rechtsetzung sind

Autoren
Katarina Bartz

Partner, Government & Public Sector, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Erfahrene Beraterin der öffentlichen Hand mit Fokus auf der Optimierung von Politikmaßnahmen in den Bereichen Digitalisierung, Datenwirtschaft, Inneres und Justiz.

Florian Linz

Senior Manager, Government & Public Sector, Economic Advisory, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Monitoring, Evaluation, Impact Assessment in DE sowie auf EU-Ebene; Digitalisierung, Inneres, Justiz; ca. 50 Projekte für EU-Kommission und Ministerien in DE

5 Minuten Lesezeit 9 Februar 2022

Neue Gesetze sollen künftig auf Digitalisierungstauglichkeit hin geprüft werden. Am besten als Teil einer Strategie zur besseren Rechtssetzung

Überblick
  • Die neue Bundesregierung hat den Digitalisierungscheck für Gesetzesvorhaben im Koalitionsvertrag verankert.
  • Dänemark und Nordrhein-Westfalen sind in diesem Punkt bereits Vorreiter.
  • Digitalchecks sollten in eine umfassende Strategie zur besseren Rechtsetzung eingebettet werden, um die größtmögliche Wirkung von Gesetzen zu erzielen.

Digitalisierung und die damit verbundenen Möglichkeiten in sämtlichen Lebensbereichen sind zentral für unsere Gesellschaft und Wirtschaft. Dies wurde unter anderem auch durch die neue Bundesregierung anerkannt und strategisch verankert. So hat sich die Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP nicht nur die Stichworte „Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen“ auf die Regierungsfahne geschrieben. Zusätzlich hat die Bundesregierung das Thema mit über 220 Nennungen des Begriffs „digital“ auch prominent im Koalitionsvertrag platziert.

Die Bereitschaft der Bundesregierung, die Digitalisierung sektorübergreifend und mit großem Einsatz voranzutreiben, ist insbesondere vor einem vergleichsweise mittelmäßigen Digitalisierungsgrad Deutschlands von großer Relevanz. So zeigt beispielsweise der Digital Economy and Society Index (DESI) für das Jahr 2021 die Bundesrepublik nur knapp über dem Durchschnitt und deutlich hinter dem Spitzenreiter Dänemark.

Zusammengefasst bedeutet dies: Deutschland hat Aufholbedarf beim Thema Digitalisierung, mit der Fokussetzung der neuen Bundesregierung in diesem Bereich aber auch gute Voraussetzungen, neue Digitalisierungsmaßnahmen erfolgreich anzustoßen und umzusetzen. Ein Beispiel hierfür ist der Digitalcheck. Diesbezüglich heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir wollen die Qualität der Gesetzgebung verbessern. Dazu werden wir neue Vorhaben frühzeitig und ressortübergreifend, auch in neuen Formaten, diskutieren. (…) Im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens soll die Möglichkeit der digitalen Ausführung geprüft werden (Digitalcheck).“

Die Digitalisierung in der Gesetzgebung dient dem Abbau von Bürokratie und deren Kosten sowie dem Aufbau von Transparenz, sie verschlankt und vereinfacht Prozesse und die Anwendung von Gesetzen.

Digitalcheck oder Digitalisierungscheck von Gesetzen: Wofür ist das gut?

Zweck des Digitalchecks oder auch „Digitalisierungschecks“ in der Gesetzgebung soll sein, die Gesetzesentwürfe an einem möglichst frühen Punkt des Vorhabens auf ihre Digitalisierungstauglichkeit hin zu überprüfen. Auf diese Weise können mögliche Schwachstellen und Änderungsbedarfe frühzeitig identifiziert und der Entwurf auf seine Praxistauglichkeit hin angepasst werden. Denn Änderungen nach Beginn der Implementierung verkomplizieren und verlangsamen nicht nur den Prozess, sondern erzeugen oftmals auch zusätzliche Kosten – beides ist durch den rechtzeitigen Digitalcheck vermeidbar.

In der heutigen, durch Digitalisierung bestimmten Welt sind auch die Modernisierung von Gesetzgebung und öffentlicher Verwaltung gefragt: Dies dient dem Abbau von Bürokratie und deren Kosten sowie dem Aufbau von Transparenz, sie verschlankt und vereinfacht Prozesse und die Anwendung von Gesetzen. Der Digitalcheck verschiebt den Diskurs von analoger Bürokratie und hergebrachtem Formalismus hin zu Nutzerfreundlichkeit, Effizienz und Wirkung.

Diese Diskussion ist nicht brandneu. Der Nationale Normenkontrollrat wies bereits im Herbst 2019 auf die Relevanz von Digitalisierungschecks von Gesetzesvorschlägen und Gesetzgebung hin. Digital- beziehungsweise Datenlabore sollten diese Aufgabe daraufhin in Angriff nehmen und unter anderem eine Checkliste für zukünftige Gesetze erstellen – bis zur Umsetzung reifte dieser Plan jedoch nicht. Auch Fachkräfte vom Kompetenzzentrum Öffentliche IT und vom Digitalrat der Bundesregierung selbst unterstützen den Digitalcheck. Bis heute sind operative Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ideen, sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene, aber rar. Ein Positivbeispiel auf Länderebene ist hier Nordrhein-Westfalen.

Vorreiter beim Digitalcheck sind Nordrhein-Westfalen und Dänemark

Seit März 2021 ist der Digitalisierungscheck bei allen neuen Gesetzen in Nordrhein-Westfalen verpflichtend. Bei dem sogenannten E-Government-Check wird jedes Gesetzesvorhaben darauf geprüft, inwieweit es digital umsetzbar ist. Ein vor allem nutzerorientiertes Verfahren, dass Bürger:innen Behördengänge ersparen soll und sie in vollem Umfang von der Verwaltungsdigitalisierung profitieren lässt. Dieser Ansatz könnte auch auf Bundesebene und in anderen Bundesländern als Vorbild dienen.

Im EU-Vergleich ist Dänemark ein interessantes Beispiel. Das Land gilt als Spitzenreiter beim Digitalisierungsgrad. Ein Erfolgsfaktor: Seit 2018 klopft eine Arbeitsgruppe Gesetzesentwürfe anhand einer Checkliste auf deren Digitalisierungstauglichkeit hin ab. Dabei folgt das Team sieben Prinzipien:

  1. Einfache und klare Regeln
  2. Digitale Kommunikation
  3. Automatische Sachbearbeitung ermöglichen
  4. Übergreifende Kohärenz – einheitliche Begriffe/Definitionen und Wiederverwendung von Daten
  5. Sichere Datenverwaltung
  6. Nutzung der öffentlichen Infrastruktur
  7. Betrug und Fehler verhindern.

Ob es um Rentenansprüche oder die Meldepflicht von Düngernutzung bei Landwirtinnen und Landwirten geht: Die positiven Effekte dieser Checks kommen nicht nur der dänischen Bevölkerung, sondern auch den Ministerien zugute, denen digitalisierungstaugliche Entwürfe inzwischen einfacher von der Hand gehen – denn von Effizienz und Klarheit profitieren alle.

Ursache und Wirkung: Digitalchecks sind kein Selbstzweck

Die Umsetzung von Digitalchecks in der Gesetzgebung ist fraglos gut und notwendig, aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. Denn es ist eine Sache, den digitalen Gesetzesvollzug zu ermöglichen. Eine andere, damit gleichzeitig die größtmögliche Wirkung der Gesetze zu erreichen. Dafür sollten diese Digitalisierungschecks in eine umfassende Strategie zur besseren Rechtsetzung eingebettet werden, in denen sie als Hebel für bessere Wirkungsorientierung und nicht allein dem Selbstzweck dienen. 

Eine enge Zusammenarbeit zwischen Ministerien und entsprechenden Abteilungen aus Forschung und Beratung kann mittels Machbarkeitsstudien, Folgenabschätzungen, Monitoring und Evaluation die Auswirkungen von Gesetzesvorhaben auf Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt fundiert einschätzen.

Vorbild dafür könnte die „Agenda für bessere Rechtsetzung“ der EU sein, die weit über die alltägliche Anwendung von Rechtsvorschriften hinausgeht. Denn sie betrachtet die Prozesse ganzheitlich, beispielsweise durch Einbindung derjenigen, die neue Regelungen betreffen oder durch konsequente Berücksichtigung der Ziele der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung. Eine bessere Rechtsetzungsstrategie auf Bundesebene kann die Weiterentwicklung ministerieller Vor- und Nachbereitungsprozesse von Gesetzen nach EU-Vorbild bedeuten. Die möglichen Auswirkungen (Nutzen und Kosten) von Gesetzen auf Gesellschaft und Wirtschaft würden dabei bereits vorab analysiert, zum Beispiel mittels Machbarkeitsstudien oder Folgenabschätzungen. Dem anschließen sollte sich das Monitoring während und die Evaluation nach der Implementierung, um eben jene Auswirkungen und Effekte (immer wieder neu) zu bewerten und, je nach Erkenntnisgewinn, Stellschrauben rechtzeitig nach zu justieren.

Um dabei auf möglichst belastbaren und evidenzbasierten Beinen zu stehen, ist es ratsam, hierfür unterschiedliche Stakeholdergruppen zu berücksichtigen und die Analysen möglicher Auswirkungen beispielsweise nach internationalen Standards wie den „Leitlinien für eine bessere Rechtsetzung“ der EU-Kommission auszurichten. Der Digitalcheck ist hierbei ein Wegweiser, aber nicht die Ziellinie für bessere Rechtsetzung.

Mit der geplanten Ausweitung von Digitalchecks greift die neue Bundesregierung ein dringendes und hochrelevantes Thema auf. Doch damit diese ihren Nutzen effektiv entfalten können, sollten sie in den Kontext einer besseren Rechtsetzung eingepflegt werden. Digitalisierungschecks sind Hebel für Transparenz und Kooperation, Evidenz und Machbarkeit. Damit am Ende das Ergebnis, die Gesetze, die Anforderungen einer digitalisierten Welt erfüllen.

  • CO-Autorin: Alana Gyszas

    Alana Gyszas ist Senior Consultant bei EY in Hamburg und arbeitet seit 2020 im Bereich Economic Advisory. Zuvor war sie seit 2017 bei einer anderen Unternehmensberatung für Kunden des öffentlichen Sektors tätig – sowohl auf EU- als auch auf Bundes- und Länderebene. Ihre akademische Ausbildung hat sie in den Bereichen Politikwissenschaft und Wirtschaftspsychologie absolviert und mit einem M.A Politikwissenschaft abgeschlossen.

    Neben der Bewertung spezifischer Politikmaßnahmen durch Evaluationen und ex ante Gesetzesfolgenabschätzungen bildet die Entwicklung konkreter Handlungsempfehlungen sowie übergeordneter Strategien und Konzepte, insbesondere an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung, Datenökonomie, Justiz und Inneres einen Fokus ihrer Arbeit. Sie verfügt über umfassende Expertise in den Bereichen Verwaltungsdigitalisierung, digitale Infrastruktur und digitale Resilienz.

Fazit

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sieht den Digitalisierungscheck von Gesetzesvorhaben als Standard vor. Ein wichtiger Ansatz, der jedoch als Teil einer Strategie zur besseren Rechtsetzung noch mehr Wirksamkeit entfalten könnte.

Über diesen Artikel

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Katarina Bartz

Partner, Government & Public Sector, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Erfahrene Beraterin der öffentlichen Hand mit Fokus auf der Optimierung von Politikmaßnahmen in den Bereichen Digitalisierung, Datenwirtschaft, Inneres und Justiz.

Florian Linz

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